Interview zum Gleichstellungsbeirat

Foto: GRÜNE Neuss

Die Fragen stellte Simon Janßen (NGZ)

Frau Weiß, Sie haben Ihre erste Sitzung als neue Vorsitzende des Gleichstellungsbeirats hinter sich. Wie ist Ihre Gefühlslage?

Motiviert und gut gestimmt.

Sie haben jüngst die Nachfolge von Constanze Stroeks angetreten. Welche thematischen Schwerpunkte möchten Sie als Vorsitzende setzen?

Wir werden uns intensiv mit „Frau und Beruf“ beschäftigen. Den Auftakt hat vergangenen Dienstag der spannende Impulsvortrag von Frau Erhardt zu diesem Thema gemacht. Mit Blick auf die sich verändernde Arbeitswelt und die steigende Nachfrage der Unternehmen nach qualifizierten Fachkräften, zeigt sich, dass Fachkräftesicherung, auch in Neuss, eines der wichtigsten Themen ist, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen. Wir sehen in Neuss große Potentiale und möchten unsere Neusser Unternehmen unterstützen, diese zu entdecken. Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Ehrenamt wird ein weiteres Thema sein. Im Gleichstellungsbeirat haben wir die Möglichkeit verschiedene Maßnahmen und Formate zu diskutieren und auszuprobieren.
Häusliche und sexualisierte Gewalt hat in den letzten Jahren, im Gegensatz zur allgemeinen Kriminalität, auch in Neuss deutlich zugenommen. Wir möchten die Zusammenarbeit mit der Frauenberatungsstelle und weiteren Akteuren intensivieren, um eine Verbesserung zu erreichen. Bei dem wichtigen Thema Sichtbarkeit von Frauen, hat Frau Stroeks schon viel erreicht. Wir werden das Weiterverfolgen, damit starke Neusser Frauen mehr Präsenz im öffentlichen Raum bekommen. Im November wird das Landesprojekt „Frauenorte in NRW“ im Kulturausschuss besprochen werden, der erste Frauenort wurde vor kurzem schon von der Landesministerin Paul in Wülfrath eingeweiht. Die durch die Frauenorte kommunizierte Wertschätzung der verschiedenen Frauenpersönlichkeiten mit ihren unterschiedlichen Identitäten können jungen Frauen in der Entwicklung ihrer eigenen Stärken, Wünsche und Ziele Impulse geben und letztendlich können sie selbst zu Vorbildern werden.

Warum ist der Gleichstellungsbeirat ein unverzichtbares Gremium in Neuss?

Der Gleichstellungsbeirat arbeitet auf der Basis des Grundgesetztes Artikel 3 Abs. 2: Männer und Frauen sind gleichberechtigt.
Es ist Aufgabe des Gleichstellungsbeirat dem Verfassungsauftrag gerecht zu werden und zur Durchsetzung des Grundrechts der Gleichberechtigung von Frauen und Männern beizutragen. In diesem Sinne wirkt der Beirat darauf hin, dass die Bedürfnisse aller Menschen in Neuss, unabhängig vom Geschlecht oder der sexuellen Orientierung, im kommunalen Handeln berücksichtigt werden.
Der Beirat will Chancengleichheit und Entwicklungsmöglichkeiten fördern und Benachteiligungen abbauen.
Frauen haben strukturell schlechter Zugang zu den bestehenden Strukturen in Wirtschaft und Politik und werden somit auch nicht von diesen gefördert. Schauen wir zum Beispiel auf unserer Stadt. Laut der Studie der Heinrich-Böll-Stiftung zur Gleichstellung, befindet sich Neuss auf Platz 74 von 77 von allen deutschen Großstädten, in Bezug auf Frauenrepräsentation. Nur zwei Frauen sind in den ca. 40 Toppositionen der Stadt Neuss zu finden.
Daher brauchen wir ein Instrument, die alle fördern, die aus diesen Kreisen ausgeschlossen werden, auf dem Arbeitsmarkt, in der Gesellschaft, im Sport und in der Politik.
Ohne Gleichstellungsbeirat, werden Frauenthemen noch weniger angesprochen oder überhaupt mitgedacht.

In welchen Bereichen herrscht in Bezug auf Gleichstellung in Neuss besonderer Handlungsbedarf?

In fast allen. Anzufangen bei der Wertschätzung, Respekt, im Umgang miteinander und mit Frauenthemen in der Politik. Beispielsweise ist erst letzten Dienstag, aus dem politisch konservativen Umfeld, eindrucksvoll demonstriert worden, wie gering die Wertschätzung von Frauen im öffentlichen Leben ist und wie respektlos man damit umzugehen gedenkt. Die Ausschussmitglieder sind unentschuldigt dem Beirat ferngeblieben. Für uns ist weder diese rückwärtsgerichtete Politik nach dem Motto „zurück in die glorreichen Fünfziger“ noch dieser politische Stil, eine Option. Um diesem Bestreben entgegenzuwirken, halten wir es für notwendig einen Gleichstellungsausschuss, mit allen Kompetenzen, einzurichten. Auch weil uns bewusst ist, dass niemand gerne Privilegien aufgibt und wir beginnen müssen, die Strukturen sanft aufzubrechen.

Als Fraktionsvorsitzende der Grünen setzen Sie sich immer wieder für eine aktivere Frauenrolle beim NBSV ein. Ist der Gegenwind, den Sie zuletzt aus Reihen der Schützen erhielten, ein Grund, Ihr Engagement zu reduzieren?

Warum sollte es das? Mit Gegenwind kann man leichter starten.
Zunächst eine Richtigstellung einzelne Annahmen ihrer Frage.
Uns geht es nicht darum dem NBSV oder Vereinen irgendetwas vorzuschreiben. Satzungsänderungen sind vereinsinterne Angelegenheiten. Meiner Fraktion und mir ist zum einem wichtig, dass das Neusser Schützenfest auch künftig stattfinden kann. Verliert der NBSV seine Gemeinnützigkeit ist die Finanzierung nicht sicher. Immerhin ist das Schützenfest ein Publikumsmagnet und ein nicht unerheblicher Wirtschaftsfaktor für die Stadt. Die Stadtgesellschaft gewährt dem NBSV großzügige, stetig wachsende Zuwendungen. Es ist unsere Aufgabe im Stadtrat, dies im Auge zu behalten und wie bei jeden anderen Verein, die Zuwendungen regelmäßig zu prüfen.

Zum anderem ist uns selbstverständlich wichtig, dass Frauen generell, die gleichen Rechte und Möglichkeiten wie Männer haben.

Wenn nein, warum werden Sie sich auch künftig für eine aktivere Frauenrolle bei den Neusser Schützen einsetzen?

Wir setzen uns generell für Gleichstellung, Vielfalt und Teilhabe ein.
Frauen sollen und können selbst entscheiden, wo sie ihre Talente, Potentiale und Interessen einbringen möchten. Gleichstellung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, von der eine Stadt langfristig profitiert. Erfreulich ist, dass auch immer mehr Männer das genauso sehen.

Haben Sie für Ihren Vorschlag, dass die Stadt ihre Vereinbarung mit den Schützen zum Jahresende kündigt, auch Zuspruch erhalten?

Ja den gab es. Der Zuspruch kam quer durch die Neusser Stadtgesellschaft – von Männern und Frauen, von Schützen sowie Mitgliedern anderer Fraktionen.

Solche Themen, aber auch zum Beispiel das Gendern, sind stets emotional aufgeladen. Wie gelingt es, die Debatte wieder zu versachlichen?

Ich möchte mich nur auf Neuss beziehen. Hier wird die Debatte stets grundlos von rechts-konservativen Kräften in Neuss hochgekocht. Man versucht zu polarisieren und die Stimmung anzufachen. Es scheint, dass sie sonst keinen Themen haben, mit denen sie Neuss konstruktiv voranbringen wollen. Vielleicht ist es auch einfach nur ein Schrei nach Liebe und Aufmerksamkeit. Und leider springt der ein oder andere Sympathisant gerne über diese vorgehaltenen Stöckchen und empört sich mit.

Wir führen eine sachliche Diskussion, in der wir vielleicht noch nicht alle abholen konnten. Für uns ist es selbstverständlich, dass Frauen ebenso wie Männer vollständig angesprochen werden, das schreiben wir jedoch niemandem vor. Sprache unterliegt einem ständigen Wandel und jede und jeder mag das so handhaben wie sie bzw. er möchte.

Vielen Dank!

Erschienen am 31.10.2023 in der NGZ