Haushaltsrede 2022 von Michael Klinkicht

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Rede zur Verabschiedung des Haushaltetats 2022 von Michael Klinkicht, 
Fraktionsvorsitzender BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Neuss, 16. Dezember 2021

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,

meine Fraktion hat in den vergangenen Jahrzehnten schon viele Haushaltsentwürfe beraten und verabschiedet, leider befand sich keiner darunter, der Anlass zur Freude gegeben hätte, nicht einmal derjenige, der eine unverhoffte Steuereinnahme in Höhe von 150 Millionen Euro ausweisen konnte. Sie alle hatten ein Manko: Sie zeigten ein strukturelles Defizit. Letztendlich blieb der Stadt dennoch die Kontrolle durch den Landrat erspart und ich bin der festen Überzeugung, dass es uns auch diesmal wieder gelingen wird, den Landrat nicht noch mit zusätzlicher Arbeit zu belasten, denn wie wir wissen, ist er gerade mit der Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft im Rhein-Kreis Neuss voll ausgelastet und hat deswegen, nach eigenem Bekunden, schon viele graue Haare bekommen.

Auch wenn die Ausgleichsrücklage aufgezehrt ist und die Kosten im Kinder- und Jugendbereich exorbitant steigen, zeigt das nur einmal mehr, dass die Kommunen mit ihren vielfältigen Pflichtaufgaben von Bund und Land alleine gelassen werden. Meine Fraktion erwartet, dass nach der Landtagswahl die neue Landesregierung ihren Verpflichtungen nachkommt und endlich nach dem Konnexitätsprinzip verfahren wird. 

Wer die Kindertagesstätten langfristig in guter Qualität erhalten und für alle Familien beitragsfrei stellen möchte, möge bitte auch die Kosten übernehmen. Es kann nicht sein, dass finanziell gut aufgestellte Kommunen ihren Familien diesen Vorzug gewähren, finanziell schwächer Städte, die Kosten auf ihre Familien abwälzen. Daran wird sich jede neue Landesregierung messen lassen müssen. 

Gleiches gilt übrigens auch bei den Hilfen zur Erziehung. Wenn ich unseren Kämmerer richtig verstanden habe, sind die Einnahmen aus der Grundsteuer genauso hoch wie die aufzuwendenden Ausgaben für die Hilfe zur Erziehung. Unser schon jetzt begrenzter finanzieller Spielraum zur Schaffung eines lebenswerten Wohnumfeldes wird somit immer weiter eingeengt.

Die Einrichtung einer Arbeitsgruppe zur Ermittlung von Einsparpotentialen ist somit folgerichtig, aber letztendlich fehlt mir die Fantasie, Potentiale zu ermitteln, die ein Defizit von 34 Millionen in einer adäquaten Größenordnung abbauen können. Denn Sie kennen alle den Spruch: nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber. Allein vor diesem Hintergrund ist der Vorsitz in dieser Arbeitsgruppe nicht ohne Bedeutung.

Die Kooperation hat bei den Etatberatungen hart mit sich gerungen, ob wir die Grund- und/oder die Gewerbesteuer anheben sollen und wir sind nach reiflicher Überlegung zu dem Ergebnis gekommen, dass wir in der akuten Situation, in der Unternehmen und Privathaushalte durch Einnahmeausfälle und steigende Preise schon im kommenden Jahr stark belastet werden, von Steuererhöhungen für 2022 Abstand nehmen, ob uns das auch in den kommenden Jahren gelingt, wird sich zeigen. Vielleicht können wir von Bund und Land auf kräftige Finanzspritzen hoffen, oder finden noch einen unerwarteten Steuerschatz um die zahlreichen Ausgaben zu bewältigen.

Derer sind tatsächlich viele, wie zum Beispiel im Bereich des Klimaschutzes und der Klimaanpassung, wenn wir das Ziel der Klimaneutralität bis 2035 nicht aus den Augen verlieren wollen. Da es sich hierbei im Regelfall um Querschnittsaufgaben handelt, müssen Rat und Verwaltung ämterübergreifend tätig werden. Das gilt für die energetische Sanierung der städtischen Gebäude gleichermaßen, wie für das Nachpflanzen von Bäumen, den Ausbau des ÖPNV und die Verbesserung des Radwegenetzes.

Einiges haben wir mit der Kooperation bereits erfolgreich auf den Weg gebracht und können mit Recht behaupten, dass dieses Jahr ein gutes Jahr war auf dem Weg zur ange-strebten Mobilitätswende. Wir wollen weg von der autogerechten hin zu einer lebenswerten Stadt mit höherer Aufenthaltsqualität. Hier nur einige wenige Beispiele:

Wir haben den Verkehrsversuch auf den Weg gebracht. Erstmals wurden in größerem Stil Fahrradstraßen von Deutsche Straße bis Glockhammer eingerichtet, und die Sebastianus-straße wurde von einer Park- und Durchfahrtsstraße für PKW’s in eine Straße mit viel Aufenthaltsqualität umgestaltet. Wir haben viel Zuspruch für diese eingeleiteten Maßnahmen erhalten und sind deshalb optimistisch, dass die Maßnahmen in 2022 dauerhaft umgesetzt werden!

Ein weiteres Projekt war die Geschwindigkeitsabsenkung von innerstädtischen Straßen auf 30 bzw. 40 Km/h. Wir haben mit einigen Straßen im Dreikönigenviertel angefangen und werden den Weg konsequent bei anderen Straßen fortführen. Das entschleunigt den Verkehr, verursacht weniger Lärm und erhöht die Verkehrssicherheit für alle Verkehrsteilnehmenden.

Bei der Entwicklung des Mobilitätskonzeptes haben wir zusätzliche Impulse auf den Weg gebracht. Hier sind Elemente wie z. B. On-Demand- und E-Citybus-Konzepte, Mikrodepots für innerstädtische Lieferverkehre, Weiterentwicklung von Mobilitätszentren, frei nutzbare Fahradabstellboxen und Planung eines Pilotprojektes für Quartiersgaragen für Fahrräder zu nennen.  

Die Entwicklung eines Verkehrskonzeptes für den Wendersplatz ist gestartet, und es wurden erste Lösungsansätze entwickelt, um den Verkehrsraum gerechter unter allen Verkehrsteilnehmenden aufzuteilen. Das wird eine spannende und anspruchsvolle Aufgabe für die Stadt in den nächsten Jahren sein.  

Noch ein Appell an die Stadt- und Verkehrsplanung: Schreiten sie zügig und mutig voran bei Entwicklung und Umsetzung der Mobilitätswende! Wir sagen das nicht ohne Grund, denn wir wollen nicht, dass wir hier so einen langen Atem haben müssen, wie bei der jetzt auf den Weg gebrachten Machbarkeitsstudie zur Verlegung der 709 über das Hammfeld, wo wir nach unserem gemeinsamen Antrag mit der CDU 7 Jahre warten mussten. Auch die schleppende Freigabe von einigen Plätzen für den Radverkehr, belegt unseren Appell.

Das größte städteplanerische Projekt in naher Zukunft, welches die Kooperation auf den Weg gebracht hat, ist die Entwicklung des Wendersplatzes und des Rennbahnparks. Gerne hätten einige in Politik und Verwaltung den Prozess abgekürzt, aber die vereinbarten Planungsschritte mit breiter Beteiligung der Bürgerschaft, der Gewerbetreibenden und von Fachleuten haben zu einem guten Zwischenergebnis geführt. Dies kann nun als Grundlage für die Gestaltung der Gebäude in einem Architektenwettbewerb dienen.

Die termingerechte Abgabe der Bewerbung für die Landesgartenschau war ein großer Kraftakt der Verwaltung und des beauftragten Planungsbüros Lenzen. Wie beim Wendersplatz fand eine breite Beteiligung von bürgerschaftlichen Gruppen statt. Es ist erfreulich, dass ihre Anregungen Eingang in die Bewerbung gefunden haben. An dieser Stelle möchte ich die umfang- und detailreichen Vorschläge der Neuss Agenda 21 lobend erwähnen.

Wichtige Impulse hat die Kooperation für die Schaffung von dringend benötigtem bezahlbarem Wohnraum eingebracht. Die Erhöhung der Quoten für bezahlbare Wohnungen und auch die Anstöße für eine sozialverträgliche Bodennutzung werden ihren Beitrag leisten. Die Änderung der Planungen von zwei Wohnquartieren in Allerheiligen hin zu deutlich mehr Mehrfamilienhäusern werden uns dem gesetzten Ziel näherbringen. Der dadurch entstehende geringere Flächenverbrauch ist dabei ein nicht zu unterschätzende Zusatzeffekt. 

Dazu gehört auch die in Planung bzw. im Bau befindlichen innerstädtischen Quartiersentwicklungen, wie Alt-Pierburg, Inbus-Viertel, Sauerkrautfabrik, Augustinus- und Etex-Viertel. Sie werden schrittweise Entlastung auf dem Wohnungsmarkt bringen. 

Die Big Points zu einer angestrebten Klimaneutralität bis 2035 liegen natürlich auch im Ausschuss Umwelt, Grünflächen und Stadtklima, siehe das 1000-Bäume-Programm, welches leider auch im kommenden Jahr aufgrund begrenzter personeller und finanzieller Möglich-keiten hinter unseren Wünschen zurückbleiben wird und hier die Kreativität für zusätzliche Einnahmen, mittels Spenden und Beteiligungen aus Bürgerschaft und Unternehmen, seitens der Verwaltung gefordert ist. 

Aber die Big Points sind, wie ich zu Anfang bereits erwähnte, oftmals als Querschnittsaufgabe zu betrachten. Das gilt auch für die Sanierung und den Neubau städtischer Gebäude. Eine Kommune, die energetische Sanierungen von Eigenheimbesitzern einfordert, muss mit gutem Beispiel vorangehen. Wir machen uns stark für temporäre Containerbauten in Holzbauweise. Gebäude im Bestand müssen nicht nur im Hinblick auf desolate Schultoiletten ertüchtigt werden, sondern auch in energetischer Hinsicht. Neue Fenster, bessere Dämmung und Photovoltaik dürfen nicht mehr die Ausnahme bleiben. Natürlich stehen hierbei hohe Investitionskosten an, aber diese zahlen sich langfristig aus. Dazu allerdings bedarf es einer funktionierenden Baugesellschaft. 

Während das Gebäudemanagement strukturell und personell der Fülle der Aufgaben nicht nachkommen konnte, hat sich die Kooperation zu einem mutigen Schritt entschlossen und wird zukünftig den Bauverein und das GMN als GmbH unter einem Dach zusammenarbeiten lassen. Wir versprechen uns Synergien, wie schnellere Arbeits- und Auftragsabwicklung und die Generierung zusätzlichen guten Personals.

Gutes Personal ist eine gute Überleitung zu unserem nächsten Anliegen, denn BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen mit einer strategischen Personalplanung auch den Perso-nalkörper stärker in den Blick nehmen, denn der demografische Wandel wird sich auf die tatsächliche Stellenbesetzung auswirken. Auch bei der Stadtverwaltung werden viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den kommenden Jahren ausscheiden. 

Wir müssen uns fragen, ob wir bei dem derzeitigen Fachkräftemangel diese Stellen wieder besetzen können. Müssen wir Aufgaben möglicherweise wegen fehlender Fachkräfte aufgeben oder von Dritten erledigen lassen? Können zukünftig mehr als bisher Menschen mit Migrationshintergrund eingestellt werden? Ist die Personalentwicklung bei weiblichen Führungskräften ausreichend? Hilft uns die Digitalisierung?

Mobiles Arbeiten und umfassende digitale Arbeitsplätze erhöhen möglicherweise auch die Attraktivität der Stadt als Arbeitgeber.

Wir haben auch das Thema Fachkräftesicherung, insbesondere für die kleinen und mittleren Unternehmen auf die Tagesordnung gesetzt, da nicht nur die Kommunen als Arbeitgeber betroffen sind, sondern auch die Unternehmen selbst. Nur mit einer beruflichen 

Weiterbildungsoffensive werden die Unternehmen den Strukturwandel und den Beitrag zum Klimaschutz stemmen können. Dabei wollen wir in Zusammenarbeit mit anderen Akteuren die Unternehmen unterstützen.

Trotz der wie Anfangs schon erwähnten schwierigen finanziellen Situation halten wir am beitragsfreien Kindergarten fest. Gleichzeitig haben wir uns gegen die angedachte Beitrags-erhöhung bei der OGS und der Musikschule ausgesprochen. Wir wollen keine weiteren Belastungen für unsere Familien. 

Deswegen gehen wir auch konform mit dem Kooperationspartner SPD, alle Schülerinnen und Schüler mit Tablets auszustatten. Gleichwohl sollen aber bereits vorhandene eigene Tablets gleichwertig genutzt werden können. 

Ein Wermutstropfen ist die Abgabe des Theodor-Schwann-Kollegs an den Kreis. Wir hätten uns den Verbleib bei der Stadt gut vorstellen können. Auch vor dem Hintergrund keine HH-Ausgleichsmaßnahmen im Bereich Schule und Bildung zulassen zu wollen und dass uns das WBK als Bildungsangebot für alle Schulabschlüsse in jedem Lebensalter besonders wichtig ist. Ausschlaggebend für unsere Entscheidung war letztendlich die Zusage, dass der Stand-ort in Neuss mit den Beschäftigten erhalten bleibt und das Theodor-Schwann-Kolleg u. a. von besseren Ausstattungsmöglichkeiten profitieren soll.

Die Kürzungsvorschläge im Spitzensport um 50 Prozent haben wir mit unseren Kooperationspartnern auf 25 Prozent gedeckelt. Denn auch hier sagen wir, dass unser sportliches Angebot weiterhin gefördert werden muss. Ich denke an die KSK Konkordia Neuss. Ein Verein, der Leistungssport bietet und gleichzeitig viel für das soziale Miteinander in dieser Stadt unternimmt. Denn wie in den meisten Sportarten, finden sich Menschen unterschied-licher sozialer und geografischer Herkunft zusammen und sind ein Baustein für unser gesellschaftliches Miteinander. Ein weiterer Beitrag ist sicherlich ebenso das „Sportzentrum Nordstadt“ – zur Stärkung des Sportangebots im Neusser Norden eine Antwort auf die Ergebnisse des „Motorik Checks“.

Wir halten weiterhin am Konradbad fest, genauer gesagt an der Wasserfläche Konradbad. Denn auch hier sehen wir einen städtischen Beitrag der Daseinsfürsorge und Sicherstellung der Schwimmfähigkeit der Kinder, wenn Sie bedenken, dass über 25% der Grundschulkinder nach der 4. Klasse nicht schwimmfähig sind, können wir gar nicht genug in den Schwimmunterricht unserer Kinder investieren.

Wir wollen „Fördergelder zur Beseitigung coronabedingter Benachteiligung“ generieren, um wieder mehr Kinder und Jugendliche mit Spaß an sportliche Aktivitäten heranzuführen. Hier steht unsere grüne Idee des „open sunday“ im Raum. Wir wünschen uns die Öffnung der städtischen Sporthallen der Grundschulen mit Bewegungsangeboten, welche unterstützt werden durch Sportvereine, Stadtsportverband und GMN (Bereitstellung der Hallen und Hausmeister), ein Konzept ähnlich wie das des „Nachtsports“. Durch die Fördertöpfe ist Geld vorhanden, diese Gelder müssen bei uns und unseren Kindern ankommen.

Wir wollen mehr „Outdoor Bewegungsangebote für Alle“ – Sportförderung ist nämlich mehr als Vereinsförderung, ein gutes Beispiel ist das von der Kooperation initiierte Angebot am „Jröne Meerke“.

Abschließend gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zum Aufbau und zur Transparenz des Haushaltes. Immer wieder wird von den ehrenamtlich tätigen sachkundigen Bürgerinnen und Bürgern und den Stadtverordneten gefordert, den Haushalt lesen und verstehen zu können. Dazu fehlen aber oftmals entsprechende Erläuterungen und Aufgliederungen von Einzelausgaben oder -einnahmen, die nur summiert unter einer Haushaltsstelle des jewei-ligen Produktes wiedergegeben werden. Wir wollen hier mittelfristig im erweiterten NKF-Haushalt transparentere Wege beschreiten.

Neben der schematischen Gliederung sehen wir vor allem die Notwendigkeit der Beschrei-bung der Zielgruppen, Produktziele und Zielvereinbarungen, Kennzahlen und Leistungs-merkmalen. Neben den klassischen Finanzkennzahlen werden wir auch andere Kennzahlen entwickeln müssen: Z. B. für Verwaltungs- und Betriebsaufwand je Einwohner oder Transferaufwand je Einwohnerin. Dieser Produkthaushalt soll auch die Grundlage für eine Aufgabenkritik sein.

Das Thema Digitalisierung ist eine weitere Herausforderung, der wir uns stellen wollen aber auch müssen. Wir wollen die Angebote für die Bürgerschaft verbessern und auch erweitern.

Innerhalb der Verwaltung müssen die Prozesse neu und auf die Digitalisierung ausgerichtet gestaltet werden. Das muss schneller gehen als bisher. 

Unter den gegebenen schwierigen finanziellen Bedingungen hat die Kooperation einen guten Haushalt zusammengestellt, der den Weg in die richtige Richtung weist, wohl-wissend, dass Bäume einerseits langsam und andererseits nicht unbegrenzt in den Himmel wachsen werden. Vor diesem Hintergrund ist der vorgelegte Entwurf mit den von uns eingebrachten Änderungen ein in sich schlüssiger und tragfähiger Haushalt, dem wir gerne zustimmen werden.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.