Rede zum Haushalt 2023

Foto: GRÜNE Neuss

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, Verwaltung
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen des Rates,

Zuallererst gehört mein Dank der Verwaltung für das Erstellen der Unterlagen für die AG Konsolidierung, großartig. Vielen Dank.

Beim Erstellen dieser Rede ging ich davon aus, dass meine Vorredner die Mysterien des Zahlenwerks bereits weitgehend gelöst haben werden. Insofern verzichte ich auf eine uns alle ermüdende Wiederholung und begebe mich zeitnah in konkrete Bereiche des Haushalts. Zuvor gestatten Sie mir eine kurze Bemerkung zur Problematik der Haushaltsführung in diesen Zeiten.

Haushalt allgemein

Die aktuellen Krisen erzeugen große Unsicherheit. Der Krieg hat Europa erreicht. Was uns in Kontinentaleuropa lange erspart blieb, ist jetzt Teil unseres Alltags. Orte wie Mariupol, Cherson und Butscha sind uns nun gegenwärtig, obwohl wir sie vor einem Jahr noch nicht kannten. 
Wir navigieren um Themen wie Gasmangel, Blackouts, Inflation, drohenden Atomkatastrophen und eine Flüchtlingskrise. 
Wir hören Begriffe wie „Wumms“ und „Doppel Wumms“. 
Einprägsam zwar, aber kaum mit beruhigender Wirkung. 
Unser Haushaltsplan wurde unter diesen außergewöhnlichen Umständen aufgestellt und basiert auf mehr Unsicherheiten als üblich. Dies erfordert Pragmatismus, Anpassungsfähigkeit und Mut.

Okay! 

Aber auch unter diesen Umständen sollten wir das Ziel moderner Haushaltsführung anvisieren, und zwar die Orientierung an gewünschten politischen Wirkungen und die systematische Zuordnung von Finanzen und Personal. Stattdessen nehme ich kommunale Haushaltspolitik noch immer vorwiegend als „bauchgetrieben“ wahr, oftmals ängstlich – da könnte doch eine Wählerstimme verloren gehen. 

Der scheinbar neueste Trend: „Management by Teckel price cap.”

Trotz der Vorgaben der Gemeindeordnung NRW z.B. Paragraf 41 und §4 der Kommunalhaushaltsverordnung des Landes durchforstet Politik bei Haushaltsberatungen den Haushalt immer noch mühsam nach einzelnen Spiegelstrichen.    

Moderner Haushalt

Ist es im Angesicht einer schwierigen finanziellen Situation möglich, eine strategisch orientierte, nachhaltige Sparpolitik ohne Vermögensverluste zu verfolgen?
Sind langfristige Planung von angemessener Infrastruktur für Versorgung, Sicherheit, Gesundheitsschutz und Unternehmen auch unter diesen Umständen möglich?
Kann es gelingen, den Haushalt auch in Stresslagen zielorientiert auf die dringend notwendigen Themen wie Klimaschutz, Verkehrswende und eine sozial gerechtere Infrastruktur, wie bezahlbaren Wohnraum, auszurichten?                    

Wir sagen ja!

Schon lange ist klar, dass die Grüne Null als Indikator besser geeignet ist, finanzielle Stabilität abzubilden. Darum werden wir uns für eine wirkungsorientierte Haushaltsführung und einen resilienten Haushalt einsetzen. Dazu haben wir Gespräche geführt, kritische Fragen gestellt und entsprechende Anträge formuliert.
Vorerst begrüßen wir die Einführung von Kennzahlen, gerne auch geschlechterspezifische. Das schafft Transparenz und sorgt für politisch gesteuerte wirkungsorientierte Zielsetzung.

Grundsteuer und Gewerbeflächen

Grund- und Gewerbesteuer sind legitime Einnahmequellen jeder Kommune und sind in Neuss seit einem Jahrzehnt unangetastet.
Bei diesen Beratungen war bislang keine Einigung zu erzielen und das Thema wird vermutlich nochmal aufgerufen werden müssen. Denn niemand möchte ein „schwarzes Loch“ in der Kasse.
Das strukturelle Defizit unseres Haushalts wurde in den letzten Jahrzehnten, in erster Linie, durch Grundstücksverkäufe ausgeglichen. Das generiert aber keine kontinuierlichen Einnahmen, sondern nur „Einmaleinnahmen “ verbunden mit dem Verlust von Vermögen. 
Nun sind nur noch sehr wenige Gewerbeflächen übrig, so dass Ansiedlungspolitik neue Wege gehen muss. 
So lassen sich durch Ansiedlung von nachhaltigen innovativen Betrieben zusätzliche Gewerbesteuern generieren. 
Leerstände und recyclebare Gewerbeflächen müssen in den Blick genommen und dem Markt wieder zugänglich gemacht werden. 
Darüber hinaus soll geprüft werden, ob 100 ha neue Gewerbeflächen ausgewiesen werden können.
Grundsätzlich können wir uns die maßvolle Entwicklung neuer Gewerbeflächen vorstellen. Dies aber zielorientiert und unter Beachtung von wichtigen Parametern. 

Denn Flächenverbrauch für Wohnen und Gewerbe hat tiefgreifende Konsequenzen
Wenn diese ökologisch wertvollen Flächen in Bauland für Industrie, Gewerbe und Wohnbebauung oder in Standorte für Infrastrukturen, wie Straßen oder Bahnlinien umgewandelt werden, treten zwangsläufig schädliche Nebeneffekte auf Umwelt, Klima, Artenvielfalt, Stadtentwicklung, Wirtschaft und das Sozialgefüge auf. Es betrifft auch unsere landwirtschaftlichen Böden und damit die regionale Versorgung unserer Bevölkerung.
Deshalb unterstützen wir die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie bis 2050 das Flächenverbrauchsziel Netto-Null durch Realisierung einer Flächenkreislaufwirtschaft. 
Neben dem von der Kooperation durchgesetzten Kriterienkatalog zur Vergabe von Gewerbeflächen müssen wir, um die Qualität von Ansiedlungen zu steigern, auch über flächensparendes und klimaneutrales Bauen auf den Wohn- und Gewerbeflächen nachdenken. 
Ist wirtschaftliches Wachstum trotz Flächensparen möglich?
Sind nachhaltige Gewerbeflächen für Unternehmer interessant?

Wir sagen ja!

Indem wir Gewerbeflächen verstärkt mit Erbbaurecht vergeben, dass nicht auf der Basis von höchstmöglichen Grundstückspreisen basiert.
Immer mehr Unternehmen erkennen die Vorteile, z.B. kann der Erbpachtzins im Gegensatz zum Kauf steuerlich geltend gemacht werden und die Unternehmen behalten mehr Liquidität. Wir als Stadt profitieren von kontinuierlichen Einnahmen, der Vermeidung von Brachflächen, Bodenspekulationen und mehr Handlungsfähigkeit.
Mehrgeschossige Gebäude, mehrgeschossige Parkpaletten und Energiesynergien ermöglichen flächenschonende Gewerbeentwicklung durch größere Flächeneffizienz.
Wir möchten, dass die zentralen Lagen in den Fokus genommen werden.
So können wir Siedlungserweiterungen minimieren.
Zukunftsfähige moderne Gewerbeflächen sind biodivers und nachhaltig entwickelt. Denn nachhaltiges Bauen, ein wichtiges Element von Green Economy, funktioniert nur auf Basis nachhaltig ausgerichteter Gewerbeflächen.
Kein Wandel ohne Zusammenarbeit
Für uns heißt das: Frühzeitig Kontakte zu allen Akteuren knüpfen und gemeinsame Perspektiven entwickeln.                   
Wir erwarten selbstverständlich, dass zum Ausgleich von Gewerbeansiedlungen an anderer Stelle großzügig und zweckmäßig Flächen entsiegelt werden.

Wohnraum 

Bezahlbarer Wohnraum ist ein Thema, das uns alle betrifft. Insbesondere in Ballungsgebieten und Städten wird es immer schwieriger, eine geeignete Wohnung zu finden, die den Ansprüchen und dem Budget entspricht. Auch Einfamilienhäuser sind für Familien kaum noch zu finanzieren. Ebenso in Neuss, als attraktiver Standort für Industrie und Handel.
Es gibt viele Ansätze und Strategien, um bezahlbaren Wohnraum bei geringem Flächenverbrauch zu schaffen. Es ist jedoch wichtig, dass diese Maßnahmen in einem breiteren Kontext nachhaltiger Stadtentwicklung betrachtet werden, um langfristig ein lebenswertes und nachhaltiges Neuss zu schaffen.
Dazu gehört unserer Meinung nach auch, die Schaffung von Eigentum in Mehrfamilienhäusern verstärkt in den Blick zu nehmen. 
Auch hier lässt sich feststellen, dass das Erbbaurecht ein möglicher Baustein einer aktiven Liegenschaftspolitik zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ist. Dem Instrument werden Potenziale zugeschrieben, um sowohl stadt- und wohnungspolitische als auch unternehmerische Ziele zu erreichen. Besonders in Zeiten steigender Zinsen.                 

Klima

Wir sehen es auch als unseren Erfolg, dass es keine Kürzungen im Klima- und Umweltschutzbereich gegeben hat.
Schließlich müssen wir den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel, die Energie- und Wärmeversorgung priorisieren, um eine nachhaltige Stadt zu schaffen. Die Stadt Neuss hat mit der Planung von mehr als 130 PV-Anlagen begonnen und erwartet in den kommenden Monaten erste Ergebnisse, die einen signifikanten Fortschritt im Klima- und Umweltschutz anzeigen. Diese PV-Anlagen sparen ab dem ersten Tag Geld, Klimaschutz ist hier ein Beitrag zur Haushaltskonsolidierung.
Der Ausbau der Photovoltaik als ein wesentlicher Baustein, neben Wasserstoff, geht in Neuss aktuell noch zu langsam, für unser ambitioniertes Neutralitätsziel 2035. 
Wir werden uns für weitere Initiativen einbringen, die eine höhere Schlagzahl zum Ziel haben und zugleich einen Teil der verfügbaren Fördergelder des Landes möglichst wirkungsvoll kanalisiert. Das Land NRW wird über das Sondervermögen zur Bewältigung der Krisensituation in Folge des russischen Angriffskriegs, für den notwendigen Transformationsprozess der Energiewende weitere 53 Millionen Euro zur Verfügung stellen.
In diesem Kontext möchten wir die Beratung von Bürgern und Gewerbe zum Ausbau der Photovoltaik erweitern.
Der zu priorisierender Schwerpunkt Wärmeversorgung muss gelöst werden, um sowohl die Versorgungssicherheit als auch den Klimaschutz zu gewährleisten. Wir sollten schnell weitere Stadtviertel folgen lassen, nachdem das erste Pilotprojekt der Stadtwerke in der Nordstadt gestartet wurde. 
Wir haben aus der Vergangenheit gelernt, dass es teurer wird, wenn dringende Investitionen in erneuerbare Energien, Maßnahmen gegen die Überhitzung der Städte oder den Hochwasserschutz unterlassen werden. Die Kosten werden dann von den Bürgerinnen, Bürgern und der Stadt getragen.        

Mobilität

Im Bereich der Mobilität haben wir als Kooperation viel erreicht. Neben der Verabschiedung des Mobilitätsentwicklungskonzepts und seinem umfangreichen Werkzeugkasten haben wir auch bereits erste Schritte der Umsetzung eingeleitet. Die Einrichtung der Fahrradachse in der Innenstadt, die Aktivierung der Parkhäuser für Innenstadtbewohner und die Einführung von Tempo 30 auf einigen Straßen im Dreikönigenviertel zeigen auf, wie der Lärm für die Bewohner*innen reduziert und die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt für alle Bürgerinnen und Bürger verbessert werden kann. In diesem Sinne möchte wir alle Ratsfraktionen dazu aufrufen, gemeinsam an diesem Thema weiterzuarbeiten und die Mobilität im Bereich des ÖPNVs und des Rad- und Fußverkehrs bis 2035 deutlich zu steigern, zum Vorteil aller Menschen in unserer Stadt. 

Zum Abschluss meiner Rede hatte ich mir, an dieser Stelle, deutliche und harte Worte notiert. Aber aufgrund der bisherigen Abstimmung und Ankündigen, freue ich mich stattdessen, dass wir uns für unsere schöne Stadt und ihrer wunderbaren Töchter und Söhne entschieden haben.      
Durch einen soliden aufgestellten Haushalt wird es uns ermöglicht, in diversen Krisensituationen flexibel zu handeln und Gestaltungsmöglichkeiten zu behalten. 
Wir sind überzeugt von der Stärke und Innovationskraft unserer Stadt und ihrer Bevölkerung, so blicken wir optimistisch in die Zukunft. 

Aus diesen Gründen unterstützt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dem vorliegenden Haushalt.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.

Bettina Weiß
Fraktionsvorsitzende
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Stadtratsfraktion Neuss

Quellen

https://www.bbk.bund.de/DE/Themen/Nationale-Kontaktstelle-Sendai-Rahmenwerk/Resilienzstrategie/resilienz-strategie_node.html

https://www.statistischebibliothek.de/mir/servlets/MCRFileNodeServlet/NWHeft_derivate_00007146/20

https://www.bmuv.de/themen/nachhaltigkeit-digitalisierung/nachhaltigkeit/strategie-und-umsetzung/flaechenverbrauch-worum-geht-es

https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft/flaechensparen-boeden-landschaften-erhalten#flachenverbrauch-in-deutschland-und-strategien-zum-flachensparen

https://aktion-flaeche.de/

https://difu.de/nachrichten/was-ist-eigentlich-flaechenkreislaufwirtschaft

https://www.wilabonn.de/projekte/786-gewerbegebiete.html

https://www.nrwbank.de/de/oeffentliche-kunden/beratungfuer-kommunen/stadtentwicklung-und-quartiersentwicklung/

Grüne Null:  Die grüne Null bezieht sich tatsächlich auf eine ökologische Haushaltspolitik, bei der die Ausgaben für ökologische Maßnahmen durch entsprechende Einnahmen ausgeglichen sind. Dies bedeutet, dass die Regierung/Kommune für die Umsetzung ökologischer Projekte keine neuen Schulden aufnehmen muss und somit eine nachhaltige Finanzierung sichergestellt ist. Die grüne Null ist ein wichtiger Aspekt für eine umweltfreundliche und nachhaltige Haushaltspolitik.

wirkungsorientierten Haushaltsführung: Grundgedanke ist die Betrachtung der langfristigen Auswirkungen von Aktivitäten statt der aufgewendeten Ressourcen oder der direkt erzielten Arbeitsergebnisse. So ist zum Beispiel nicht das Errichten von Parks, sondern die Zufriedenheit der Bürger Hauptgesichtspunkt in der Stadtplanung. Auf diese Art bekommen die verantwortlichen Personen in der Verwaltung, mehr Freiheiten. Es wird ein größerer Fokus auf die Wirkung und damit auf die wirklich wichtigen Dinge gelegt und die Aufwendung von Ressourcen wird dementsprechend in ein besseres Verhältnis zum Ergebnis gesetzt.

Auf diesem Wege werden eine gesteigerte Effizienz und Bürgernähe erreicht. In Deutschland werden diese Ziele beispielsweise im Haushaltsplan festgehalten. Anhand von Kennzahlen wird die erzielte Wirkung letztendlich überwacht und bewertet.

resilienten Haushalt: Resilienz beschreibt die Fähigkeit eines Systems, einer Gemeinschaft oder einer Gesellschaft, sich rechtzeitig und effizient den Auswirkungen einer Gefährdung widersetzen, diese absorbieren, sich an sie anpassen, sie umwandeln und sich von ihnen erholen zu können. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die Erhaltung und Wiederherstellung ihrer wesentlichen Grundstrukturen und Funktionen durch Risikomanagement.“ 

(übersetzt nach: Vereinte Nationen 2016)

In erster Linie geht es um die langfristige Planung von angemessener Infrastruktur für Versorgung, Sicherheit, Gesundheitsschutz, seien es Einrichtungen oder Dienstleistungen. Sie müssen alle erreichen und für alle erreichbar sein – auch im Krisen- und Katastrophenfall.

Flächenkreislaufwirtschaft: Die Flächenkreislaufwirtschaft stellt ein System von Planung, Nutzung, Nutzungsaufgabe, Brachliegen und Wiedereinbringung durch eine dauerhafte Nutzung oder eine befristete Zwischennutzung von Flächen dar. Damit wird das aus anderen Wirtschaftsbereichen wie der Abfall- oder Wasserwirtschaft bekannte Kreislaufprinzip auf die Ressource Fläche übertragen.

Flächenkreislaufwirtschaft ist zugleich ein integrativer Politik- und Steuerungsansatz, der eine veränderte Nutzungsphilosophie im Rahmen der Flächeninanspruchnahme nach der Formel „Vermeiden – Verwerten – Ausgleichen“ zu Grunde legt. Einerseits sollen vorrangig vorhandene Flächenpotenziale wie zum Beispiel Brachflächen, Baulücken und Nachverdichtungsmöglichkeiten in Wert gesetzt werden. Andererseits gehen auch, sofern bestehende Potenziale nicht zur Verfügung stehen, Flächen auf der „grünen Wiese“ in begrenztem Umfang in den offenen Flächenkreislauf ein. Vorher genutzte Flächen, die für eine bauliche Nachnutzung dauerhaft nicht in Betracht kommen, werden auf dem Wege der Renaturierung aus dem Flächenkreislauf entlassen.